Beim Schildern der Episoden aus Hinterindien versuche ich meistens, ein neutraler Beobachter zu sein. Das ist eigentlich auf Grund meiner Erziehung, Schulung, der Literatur und Denkweise fast ausgeschlossen, genauso, wie es keine neutrale Schweiz gibt. Zufälligerweise stiess ich auf eine Arbeit, die vor 170 Jahren ohne Personalcomputer brillant verfasst wurde und verdeutlicht, wie unsere Denkweise, ähnlich einer Festplatte, formatiert wurde.
Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums. Band 1, Berlin 1956
Auszug aus dem Vorwort zur ersten Auflage 1841
Die in verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegentlichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers über Religion und Christentum, Theologie und spekulative Religionsphilosophie findet der geneigte und ungeneigte Leser im vorliegenden Werke konzentriert, aber jetzt ausgebildet, durchgeführt, begründet – konserviert und reformiert, beschränkt und erweitert, gemäßigt und geschärft, je nachdem es eben sachgemäß und folglich notwendig war, aber keineswegs – wohlgemerkt! vollständig erschöpft, und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil der Verfasser, abgeneigt allen nebulosen Allgemeinheiten, wie bei allen seinen Schriften so auch bei dieser nur ein ganz bestimmtes Thema verfolgte.
Vorliegendes Werk enthält die Elemente – wohlgemerkt! nur die und zwar kritischen Elemente zu einer Philosophie der positiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie sich im voraus erwarten läßt, einer Religionsphilosophie weder in dem kindisch-phantastischen Sinne unserer christlichen Mythologie, die sich jedes Ammenmärchen der Historie als Tatsache aufbinden läßt, noch in dem pedantischen Sinne unserer spekulativen Religionsphilosophie, welche, wie weiland die Scholastik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logisch-metaphysische Wahrheit demonstriert.
Die spekulative Religionsphilosophie opfert die Religion der Philosophie, die christliche Mythologie die Philosophie der Religion auf, jene macht die Religion zu einem Spielball der spekulativen Willkür, diese die Vernunft zum Spielball eines phantastischen religiösen Materialismus, jene läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser sagt, diese läßt die Religion anstatt der Vernunft reden, jene unfähig, aus sich herauszukommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eigenen Gedanken, diese, unfähig, zu sich zu kommen, die Bilder zu Sachen.
Es versteht sich allerdings von selbst, daß Philosophie oder Religion im allgemeinen, d.h. abgesehen von ihrer spezifischen Differenz, identisch sind, daß, weil es ein und dasselbe Wesen ist, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Religion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede bestimmte Religion, jede Glaubensweise auch zugleich eine Denkweise ist, indem es völlig unmöglich ist, daß irgendein Mensch etwas glaubt, was wirklich wenigstens seinem Denk- und Vorstellungsvermögen widerspricht. So ist das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Widersprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine sich von selbst ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleichfalls für ihn eine sehr natürliche Vorstellung ist. So ist dem Glauben die Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe so klar, so natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entstehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. …
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Mit leichtem Frust und weniger göttlicher Eingebung schrieb Feuerbach in der
Vorrede zur zweiten Auflage 1843
Die albernen und perfiden Urteile, welche über diese Schrift seit ihrer Erscheinung in der ersten Auflage gefällt wurden, haben mich keineswegs befremdet, denn ich erwartete keine anderen und konnte auch rechtlicher- und vernünftigerweise keine anderen erwarten. …
Ludwig Andreas Feuerbach * 28. Juli 1804, Landshut, † 13. Sept. 1872, Rechenberg, Philosoph und Anthropologe
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Feuerbach