In „Neujahrswünsche“ erwähnte ich es kurz: Zwischen Aufwachen und Einnicken beanspruchen zwei wissbegierige Schülerinnen täglich meine knappe Zeit. Die Ältere hat bereits Kinder, ist verheiratet und betreibt mit ihrem Gatten ein reizvolles Resort an den nahen Hügeln von Chiang Mai.
Ich fördere ihre Englischkenntnisse und das Benutzen von WORD. Excel soll später ihre Buchhaltung vereinfachen. Ihren Laptop befreite ich von 4562 Viren und Troyanern. Sie kaufte die vierjährige Maschine vor zwei Jahren als neu. Inbegriffen im überhöhten Preis war ein illegales MS Betriebssystem, etwa tausend Spiele und geklaute Programme für absolute Profis – wie AutoCad 10. Benutzen konnte sie das Gerät bisher kaum.
Nach etwa zwölf Stunden sehr ernsthaften Bemühungen, inklusive dem Entfernen von etwa 10 GByte Spielen und weiterer zweifelhafter Software, lief die Hewlett-Packard Einheit mit dem fast unlesbaren Compaq Label einigermassen vernünftig.
Als Anerkennung meiner Schandtaten lud sie uns zum Abendessen in ihr Restaurant ein. Die Speisen waren mengenmässig und qualitativ erste Wahl.
Einzig der rote Syrah, in tulpenförmigen Sekt- und kleinen Weissweingläsern kredenzt, konnte seinen schönen Seiten, bedingt durch die Wahl der falschen Gläser, nicht zur Geltung bringen.
Deshalb folgte am nächsten Tag eine Lektion über Weingläser.
Wir unterscheiden grob vier verschiedene Typen: Gläser für Schaumweine, Gläser für Weiss- und Rotweine, Gefässe für Dessertweine.
Anfänglich gab es Becher aus Zinn. Armer Adel benutzte Silber. Die Herrscher prunkten mit Gold. Später gab es Gläser in sämtlichen Formen und Farben, neben teuren, geschliffenen Kristallgläsern. Weingläser wurden kunstvoll bemalt, graviert, geätzt und vergoldet. Die wesentlichen Fragen zur Physiologie des Weintrinkens rückten erst Anfang des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund. Solange man sich mit Alkoholika bloss berauschen wollte, spielte die Physiologie eine Nebenrolle.
Ein Weinglas besteht aus dem Kelch, dem Teil, in den der Wein eingefüllt wird, einem wichtigen Stiel und aus dem Fuß zum sicheren Abstellen. Ein langer Stiel verhindert, dass der Wein durch die Hand erwärmt wird. Rückschritt: Aus Amerika gelangen als letzter Schrei wiederum stiellose Gläser für stillose Konsumenten auf die Märkte.
Aus Weinverkostungen wissen wir, die Kelchform hat grossen Einfluss darauf, welche Geschmacksknospen angesprochen werden.
Einer der ersten, die sich mit Fragen nach der Funktion des Glases und dem Zusammenspiel von Glas und den Eigenarten der Weine beschäftigten, war der österreichische Glasdesigner Claus Josef Riedel. Er lebte von 1925-2004. Anfänglich belächelte man Riedel. Dann setzte sich die Erkenntnis durch, dass herkömmliche Gläser selten geeignet waren, edle Weine optimal zur Geltung zu bringen. Die gestalterischen Prinzipien des heutigen Glasdesigns basieren weitgehend auf Erkenntnissen und Entwürfen Riedels.
Für Schaumweine eignen sich tulpenförmige Gläser. Die Blasen bauen an dünnen und relativ hohen Wänden gut auf und geben den Geschmack der Hefen frei.
Weißweine wünschen dagegen apfelförmige Gläser mit verengten Öffnungen. So bleibt das Bouquet im Glas. Es wird von der Nase besser aufgenommen.
Mit ihren meist üppigen Aromen verlangen Rotweine nach einem bauchigen Kelch mit großer Öffnung. Für steinalte Pinot Noir aus dem Burgund hatte ich Gläser, beinahe Babybadewonnen, mit einem Volumen von fast einem halben Liter, das aber nie benutzt wurde.
Süsse Dessertweine gelangen in einem kleinen Kelch am besten zur Geltung.
Riedel erwähnte ich während der Lektion absichtlich nicht. Seine kostbaren Schöpfungen hätten in der leichtfertigen Gegenwart im LOS eine äusserst beschränkte Halbwertszeit.
Nach weiteren Einführungen in Rebsorten, Produzenten und einigen Degustationen, würde ich den Namen des Resorts mit Einwilligung der Eigentümer gerne bekanntgeben.
Für diejenigen unter uns, die sich über unnütze Glasmengen ärgern, sage ich:
„Bleibt beim Bier!“ Das kann man, anders als Wein, ohne Verluste direkt aus Flaschen gurgeln.
Prost, Low
http://de.wikipedia.org/wiki/Claus_Josef_Riedel
http://de.wikipedia.org/wiki/Riedel_Glas
Hallo Low, ich habe mir das gerade bei einem Glas Riesling durchgelesen. Köstlich! Als weggezogener Pfälzer trinke ich übrigens aus dem Dubbeglas (gibt’s sogar einen Wikipediaeintrag). Dessen tupfenförmige Oberfläche bewirkt Adhäsionskräfte zwischen Glas und Hand, wofür der Fußboden dankbar ist.
Grüße
Leo
Hallo Leo,
gerne proste ich Dir und allen fleissigen Kommentatoren und ‚gefällt mir‘ Anwendern zu.
Es muss kein Glas von Riedel sein. Der Inhalt ist wichtiger als die Form. Low