Eindrückliche Reisen

Ist es das Alter, sind es körperliche Unzulänglichkeiten? Seit fast zwanzig Jahren denke ich bei ausgedehnten Exkursionen immer wieder, das dürfte wohl das letzte aller Abenteuer gewesen sein.
Danach gibt es wohl nur noch den Aufbruch ins Unbekannte, ohne Karten und GPS- Navigation – ins Nibbana. Da habe ich fast eine Option offen. Ich möchte mich dann in eine Vulva verkriechen, wo ich, geschützt vor Unbilden der Natur und habgierigen Steuervögten, auf die Wiedergeburt warte.
Leider ist auch diese Vorstellung nicht perfekt. Ich leide an einer Phobie, einer sich zwangshaft aufdrängenden Platzangst. (1) Sie kann mich im Bett überfallen, eigentlich überall. Und wenn ich mir dann vorstelle, länger in einer räumlich eingeschränkten Körperöffnung zu verweilen, empfinde ich Sehnsucht nach der Weite einer gotischen Kathedrale.
Wenn ich irgendwo den Angstzustand erlebte, bleibt diese Angst danach im Raum. Solche Orte sind dann für mich verseucht und zwingen mich zur Flucht.angst Ausgelöst wurde diese Phobie in meiner Jugendzeit ausgerechnet durch einen Geistlichen, einen Pfarrer, der doch eigentlich Seelsorge betreiben sollte.
Ich befand mich in einem Personenaufzug, abwärts – Richtung Erdgeschoss, wo ein prächtiger Frühlingstag nur auf mich wartete. Der Kasten stoppte plötzlich im ersten Stock. Die Türe wurde aufgerissen. Ein gedankenloser Geistlicher quetschte etwa zwanzig lebhaft diskutierende Seniorinnen, Teilnehmerinnen eines Altersnachmittags, in die kleine Kabine.
Nach wenigen Zentimetern löste die funktionierende Überlastsicherung einen Notstopp aus. Die Türe zu öffnen, war nicht mehr möglich. Die Angst der Eingeschlossenen war fühlbar. Der Lift war so vollgestopft, dass keine der Damen ohnmächtig zu Boden sinken konnte. Einige begannen zu schnattern, andere stöhnten. Stand eine Panik bevor?
Ich bewahrte Ruhe und überlegte, was ich tun konnte, um die Frauen abzulenken. Singen, aber was? Evangelisch reformierte Fahrstuhllieder kannte ich nicht. (2) Da sich der Lift abwärts bewegen sollte, wäre “Näher mein Gott zu dir“ physikalisch falsch gewesen.
Der Titanic-Film war Zukunft – ich gestehe, ich kannte das Lied nicht.
Zaghaft stimmte ich “Ein feste Burg ist unser Gott“ an. (3) Der Chor machte nicht nur gesanglich tapfer mit. Ich hatte das Gefühl und die Empfindung in der Nase, einige der Sängerinnen bewässerten zusätzlich den Burggraben.
Wir mussten nicht alle vier Strophen absingen, bis der Technische Dienst zur Stelle war.
Das kurze Reislein von wenigen Zentimetern mit den vielen Begleiterinnen hinterliess empfindliche Kratzer.

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Phobie_(Psychiatrie)
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Reformierte_Kirchen
(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_feste_Burg_ist_unser_Gott

Die Wiedergeburt ist ein breites Thema. Ich glaube eher weniger daran. Dennoch erwähnte ich sie, weil ich in einer Kultur lebe, wo zwar die einfachsten Glaubensregeln kaum befolgt werden, aber diese Möglichkeit als Tatsache gilt.

3 Gedanken zu „Eindrückliche Reisen

  1. Lieber Low,
    so wie es Dir im gemütlichen Futteral auf Dauer zu eng werden
    könnte, würdest Du Dich in einer Kathedrale evtl. zu einsam
    fühlen….

    Mir scheint die „feste Burg“ gedanklich sympathischer, da
    sie nicht nur noch größere Bewegungs-Freiheit bietet, sondern
    gleichzeitig Geborgenheit und Schutz schenkt – nicht zuletzt
    auch vor unseren eigenen Ängsten.

    • Kmr danke.
      Die mittelalterliche Festung, ein kalt-feuchter Klotz in der Landschaft eines Martin Luther von 1530, macht meine Empfindungen nicht angenehmer. Der zornige Gott, mit welchem Luther seinen Schäfchen drohte, ein Gott, der Söhne als Opfer fordert, ist weit entfernt vom gütigen, allmächtigen Schöpfer.

      Meine Geschichte ist eine Fehlkonstruktion, beeinflusst durch Phi, hinterindische Geister.
      In Wirklichkeit sandte der Manager nach einer Modeschau zwei Dutzend aufgetakelte junge Frauen zu einem einsamen Knaben in die blumengeschmückte Kabine eines Liftes mit den Abmessungen eines Fussballfeldes. Danach gab es für mich das Leben nur noch in Gruppen, Gruppenarbeit, Gruppenreisen, Gruppendynamik – Gruppen….
      Ein bösartiger Phi drang giftsprühend in mein Bewusstsein ein, verwandelte alle die anmutigen, entzückenden Verführerinnen in alte, runzlige Weiber und reduzierte die Kabine gleichzeitig auf die Grösse einer Badewanne.

  2. Hallo Low, ich muß mich entschuldigen.
    Bei der Burg habe ich nicht an den Zusammenhang
    mit Martin L. gedacht. Mir schwebte eine großzügige
    Anlage in licht- und wärmedurchfluteten Gefilden vor,
    einschließlich großartigen Weinkellern und huldvollen
    Edeldamen.

    So, jetzt kannst Du Dir als Phi Low Soph ergänzende
    Gedanken machen. ;-))

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