Entgleisungen aus ‚buddhistischen‘ Tempeln

„Da tat es schon ein kläglich Stöhnen. Auf der eisernen Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen, wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. Und hinterher …“
„Kreuz Gottes!“ rief mein Pate, „da hängen ja ganze Häuser dran!“. Und wahrhaftig, wenn wir sonst gedacht hatten, an das Lokomotiv wären ein paar Steirerwäglein gespannt, auf denen die Reisenden sitzen konnten, so sahen wir nun einen ganzen Marktflecken mit vielen Fenstern heranrollen, und zu den Fenstern schauten lebendige Menschenköpfe heraus, und schrecklich schnell ging´s, und ein solches Brausen war, daß einem der Verstand still stand. Das bringt kein Herrgott mehr zum Stehen! fiel‘s mir noch ein. Da hub der Pate die beiden Hände empor und rief mit verzweifelter Stimme: „Jessas, Jessas, jetzt fahren sie richtig ins Loch!“ Und schon war das Ungeheuer mit seinen hundert Rädern in der Tiefe.“ (1, 2)

Die Eisenbahn hinterliess tiefe Spuren im Leben der Europäer. Unser Dasein wurde von nun an in Form von Fahrplänen und Kursbüchern organisiert. Sogar die Schnellstrassen in Deutschland werden ‘Autobahn‘ genannt. Der Karneval beginnt am 11. 11. um 11 Uhr 11. Fast jeder hält sich an alte Empfehlungen der Dampfeisenbahngesellschaften: ‘Nicht auf den Boden spucken‘ und ‘Nicht zum Fenster hinauslehnen‘. Wer nicht mitmacht, ist asozial.

Ganz anders ist das Verhalten der Menschen im Gastland Thailand. Thais kennen weder Fahrpläne noch Kursbücher und absolut keine Regeln. Es gibt Fahrpläne für die Eisenbahnstrecken Bangkok – Uttaradit – Chiang Mai. Die Ankunft ist regelmässig verspätet. Die einzigen Konstanten sind planmässige Entgleisungen zwischen Uttaradit und Chiang Mai. Daran änderte der kürzliche teilweise Neubau der Strecke nichts.
Anlässlich der Einweihung wurden geladene Gäste und ein hoher Eisenbahn-Funktionär Opfer des teuflischen Schienen-Zaubers. Der Lokomotivführer vergass sein Amulett zu tragen.
Es gäbe Gesetze, es gäbe Regeln des Glaubens, es gäbe Regeln für den Verkehr und es gäbe Regeln für die Demokratie. Niemand, ausser einigen zugewanderten Deppen, hält sich daran.

An buddhistischen Feiertagen wie Makha Bucha dürfen laut ehemaliger Verordnung von Sankt Thaksin Shinawatra keine alkoholischen Getränke verkauft werden. Menschen mit irreparablen Leberschäden, chronische Alkoholiker und unwissend feiernde Touristen pilgern vergebens in Grossmärkte, um einige Flaschen biologischen Hopfensafts zu erstehen. Buddhistische Toleranz fehlt, trotz kaufmännischen Nachteilen. Das Gesetz gilt für Grossmärkte. Tante Emma-Läden kennen die Regel nicht, respektive Tante Emma weiss nicht, was Alkohol ist. Die meisten Lehrkräfte führen als psychologischen Selbstschutz einen Flachmann auf sich, dozieren dennoch nie über den Prozess und die Gefahren biochemischer alkoholischer Gärung.

Ich erwähnte in ‘Valentinstag und Makha Bucha‘: verletzungsbedingt kann ich an der dreifachen Umrundung der verehrten Heiligtümer nicht teilnehmen. (3)
Entsprechend handelten die Menschen im Dorf. Sie wussten: der Farang bleibt heute im Haus. Zielstrebige Damen organisierten ein Fest unter Ausschluss von Religion. Khun Poo kochte während des ganzen Nachmittags unter Dicks Anleitung im Schönheitssalon heisse Speisen und andere scharfe Sachen.food1
Anstelle eines meditativen Tempelbesuchs mit Andacht und Kerzen, herrschte im Dorf tierische Fresssucht, verbunden mit ungehemmtem Alkoholgenuss: Bier, Lao Khao, Spy, Whiskey, Wein – alles ohne mich.
Kurz vor elf Uhr kam Dick zum ausgeschlossenen Zaungast zurück und beruhigte mein einsam erregtes Dasein, ohne Schnauben und Pfustern, mit einer angebrochenen Flasche hervorragenden Rotweins. Den Inhalt einer geöffneten Flasche sollte man nicht stehen lassen. Chemische Reaktionen, wie Oxydation, sind zu befürchten. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen.

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Rosegger
(2) http://www.gigers.com/ernst/zip/Lesen_Rosegger_Waldbauernbub.pdf (S 82)
(3) http://wp.me/p2ljyL-1je Valentinstag und Makha Bucha

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