Eine leichte Hose genügte im warmen Chiang Mai. Schweizer Sommer entsprechen ungefähr dem Winterwetter in Chiang Mai. Der grosse Unterschied ist, es regnet während dieser Zeit selten in Nordthailand. Hausarbeiten und Einkäufe erübrigten sich. In den Lokalen des Hotels und dessen Umgebung liess ich mich verwöhnen. Die Entlastung war spürbar. Der Arm besserte sich zusehends. Nach knapp drei Wochen reiste ich mit den ausgearbeiteten Plänen der perfekten Logik einer Vakuumpumpensteuerung im Gepäck zurück.
Ich war ahnungslos: Das war bloss der bösartige Beginn ein stetig fortschreitenden Einschränkung meiner Lebensqualität. Spätestens um Ostern stellte ich fest, der Arm blieb geschwächt. Nach wie bisher üblichen Stürzen auf den Boden, war es mir unmöglich, ohne Hilfsmittel wie Schemel oder Personen, zurück in den Rollstuhl zu gelangen. Die Anstrengungen lokaler Physiotherapeuten blieben erfolglos. Ich reiste auf meine Kosten nach Abano, Kärnten und Ungarn zu Kuren. Ich lag im heissen Heilschlamm und schwamm im Thermalwasser. Zwischen den Kuren, teilweise mit Kurschatten, arbeitete ich, entwickelte neue Einheiten mit hoch integrierten Schaltungen, wie multiplizierenden Digital-Analog-Konvertern und führte anfallende Reparaturen an bestehenden Geräten aus. Das war nicht immer ganz einfach, denn mittlerweile wurden achtzig Lötstellen pro Quadratzentimeter normal. Zittern war nicht erlaubt.
Einmal begleitete mich die Tochter nach Abano. Auf der Rückreise verletzte ich in einem malerischen Städtchen den überempfindlichen Arm erneut. Ich bat die Begleiterin, das Fahrzeug zu lenken. In der Nähe von Verona krachte es auf der Autobahn. Ein Lastwagen schleuderte einen Stein auf unsere Windschutzscheibe. Die junge Frau war geschockt und zitterte am ganzen Leib. Ausser einem Loch in der Scheibe war nichts zu sehen, Fahrerwechsel.
Zu Hause genossen wir feine Weine. Frühling, Sommer und Herbst waren mehr als erträglich. Den gemütlichen Gartensitzplatz unter Reben benutzte ich abends nie mehr.
Zwei weitere harte Winter quälten mich mit Kälte und Mehrbelastung der Gelenke durch das Anziehen dicker Schichten. Die Pein wurde arg. Am Arbeitsplatz konnte ich Aktenordner kaum den Schränken entnehmen. Die Feinmotorik der Hände war gestört. Lötarbeiten wurden unmöglich. Ich sass nutzlos herum und instruierte im Notfall freundliche Assistenten oder unseren stets hilfsbereiten Mechaniker. Mitte Januar sprach ich mit meinem Vorgesetzten:
„Meine Anstellung beträgt bloss noch fünfzig Prozent. Im Moment bin ich eine anwesende Abwesenheit. Ausser kreativen Ideen liefere ich nichts. Wenn ich mich jetzt an die Wärme absetze und dann in im Frühling und Sommer voll arbeite, könnte ich die Zeit leicht kompensieren. Beim Ausfall einer Maschine helfe ich gerne telefonisch, per Mail, oder fliege auf meine Kosten zurück. Für einige Tage wäre ich wahrscheinlich voll verfügbar.“
Der Chef nickte. Erschiessen konnte er mich nicht. Ich flog vollgepumpt mit Schmerzmitteln nach Chiang Mai, besuchte Ärzte, liess mir Physiotherapie verordnen und fand nach kurzer Zeit eine Unterkunft in einem Dorf an den Reisfeldern.
Die Wärme wirkte Wunder. Es ging aufwärts. In der Nähe meiner Wohnung fand ich, abseits vom Verkehr, ein Häuschen mit knapp sechzig Quadratmetern Wohnfläche. Ich wusste, der nächste Winter würde mich zurück in die Provinz Chiang Mai treiben. An Ostern unterschrieb ich den Kaufvertrag. Am Ostermontag flog ich wohlgemut zurück zur Arbeit, die ich vermisste. Den Geräten für Spurenanalysen im Bereich von mikro- bis pico-Gramm (10E-6 bis 10E-12 g) zur genauen Bestimmung von Isotopen-Verhältnissen galt mein voller Einsatz. Ich machte meine Rechnung ohne den gnadenlosen Wirt. Wahrscheinlich ist er mit dem Sensenmann verwandt. Im Juni wurde ich in der Nähe des Arbeitsortes durch das Fahrzeug eines schwatzenden, rückwärtsfahrenden Dozenten aus dem Rollstuhl auf die Strasse katapultiert. Das bedeutete das Ende meiner beruflichen Tätigkeit. Der Unfall beschädigte die linke Schulter und den Oberarm. Eine Operation war ausgeschlossen. Der Arm hätte nach dem Eingriff für mehrere Wochen ruhig gestellt werden müssen – Blasenentleerung, Stuhlgang und die restliche Muskulatur – ade! Unkontrollierbare Spasmen hätten die erfolgreiche Arbeit der besten Chirurgen in Sekundenbruchteilen zerstört. (1)
Als ich nach einigen sommerlichen Tagen abends im Bad Abkühlung suchte, genoss ich unfreiwillig zwölf Stunden Badewanne. Zuvor schimpfte ich über Langstreckenflüge. Dort wurden wenigstens Erfrischungen und warme Mahlzeiten angeboten. In der Wanne war der einzige Luxus heisses Wasser. Morgens um acht hörte meine Nachbarin meine Hilferufe und reagierte. Verdurstet wäre ich nicht.
Pflege und Betreuung waren Mangelware. Mitarbeiterinnen der Spitex halfen während der Woche täglich eine Stunde. Die Wochenenden hatte ich zur freien Verfügung. Später unterstützte mich eine nette Afrikanerin. Es dauerte Monate, bis ich die Reise nach Thailand antreten konnte. Im Häuschen an den Reisfeldern würden mich Ladies problemlos während vierundzwanzig Stunden betreuen.
Ein sehr ehrlicher Einblick. Alles Gute!
Danke sehr, wenig Zeilen – viel Tiger!
Ich sagte mir, die Leser dürfen mehr über die Hintergründe und Schwierigkeiten meiner Fluchtversuche erfahren. Dass mich die Probleme weiter verfolgen würden, war mir ebenso klar, wie deren Lösung in der Schweiz. In einem Alten- oder Pflegeheim würde ich mit den Segnungen der chemischen Industrie ruhig dem Ableben entgegen dämmern. Dagegen ist mein gegenwärtig wunder Arsch ein Engelskuss. Low
Das ist knallhart gesagt. Dein Lebensmut imponiert mir und ich finde es schön, wenn’s aller Probleme zum Trotz zum Engelskuss reicht!