Eigentlich erwartete die Alte mit ihren, meist durch Unvorsichtigkeit erworbenen Leiden, dass sämtliche Angehörige mit Kindern und Kindeskindern, Onkel, Tante, Anverwandte, in die Provinz Phitsanulok pilgern würden, um sie zu pflegen und vor allem – zu verehren.
Diese Nummer wurde zwei-, dreimal gegeben. Dann durchschauten selbst die Dümmsten – ohne sich zu äussern – das grausame Treiben, die Diktatur einer Dulderin.
Wenn sie als selbstverstümmelnde Patientin Pflege benötigte, durfte sie sich zu den Hilfe Anbietenden bemühen. Die Wohnungen in Chiang Mai haben weniger Insekten und mehr Komfort. Zahlreiche Krankenhäuser in der näheren Umgebung bieten bessere Möglichkeiten, als sie im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern von ihrem Dorf erwarten konnte.
Wenn das alte, gebündelte Leiden jeweils röchelnd, auf dem letzten Loch pfeifend ankam, erschütterte sie die Herzen ihrer Töchter zutiefst. Aber sobald das Mundwerk angelaufen war, vergass sie das Röcheln. Die Atmung wurde so kräftig, sie hätte nicht nur als Engel gleich Posaune, Tuba oder andere Gegenstände blasen können.
Während den Genesungen wurde kräftig abgesahnt und ausgenommen. Sobald die Alte die eine Tochter mit ihren Forderungen an den Rand körperlicher und geistiger Gesundheit gebracht hatte, wechselte sie das Domizil. Wenn es ihr nach einigen Monaten in Lan Na Land langweilig wurde und es ihr nicht mehr gefiel, weil die Verehrung spürbar nachliess, verzog sie sich, beladen mit Lebensmitteln, Kleidern und vollgestopfter Börse wieder in den Süden, wo interessiertere Zuhörerinnen auf sie warteten.
Im Nachbarhaus hatte sich wieder einmal die begeistert phallusverehrende, phallusverzehrende Tochter für kurze Zeit einquartiert. Sie hatte nicht nur erfolgreich abgetrieben, sondern einen potenten Dauerverehrer aufgetrieben. Das sich innig liebende Paar besuchte zwischen zwei lautstarken intimen Vereinigungen die Mutter und konsumierte von ihrem mitgebrachten Lan Na Futter. Schmatzend lobten sie ihr gutes Aussehen, ihren schön bleichen Teint und meinten, sie könne nach der Kur in Lan Na Land problemlos hundert Jahre alt werden. Zur Bekräftigung dieser Aussage schloss das Pärchen einen Tag darauf eine Todesfallversicherung in Millionenhöhe zu seinen Gunsten ab. Die eigensinnige Alte war des Lesens praktisch unkundig. Sie setzte ihre Brille auf und unterschrieb den Wisch. Sie überlegte nicht, dass der hohe Betrag nicht für sie bestimmt sei.
Ihre Lendenwirbelsäule ist möglicherweise durch Unfälle und Haltungsschäden in zwei Richtungen, seitlich und vorwärts, deformiert. Noch vor zehn Jahren legte sie sich am Boden auf den Bauch und liess als (Ross-)Kur siebenjährige Enkel auf der empfindlich beschädigten Wirbelsäule hüpfen. Im Haus gab es weder günstige Liegeplätze, noch angenehme Sitzgelegenheiten, dafür uralte, halbblinde Fernseher. Wir kauften damals Bettgestelle, Matratzen und für das Wohnzimmer ein Sofa.
Ein Sturz in sinnloser Eile vor einem Jahr beschädigte die heiklen Stellen in der Lendengegend gefährlich. Erste Hilfe leisteten die Ärzte in Phitsanulok. Sie sandten die Verletzte zu den Spezialisten in Chiang Mai. Die ersten Monate lebte sie bei der Tochter in der Nähe des Universität-Spitals.
Als sie sich besser fühlte, wechselte sie den Haushalt. Sie kam nach Phonphat. Sie war stets ungeduldig. Ihre Eile, verbunden mit Unvorsichtigkeit, führte zu einem erneuten Sturz. Die ärztlichen Bemühungen der letzten Monate waren vergeblich! Erneut waren Aufenthalte in Krankenhäusern erforderlich. Als Mowgli von Satun zurückreisen musste, half er Grossmutter bei ihren ersten Schritten seit Monaten.
Die triebbesessene, hormongesteuerte Tochter und ihr derzeitiger Liebhaber vernahmen, Mutter gehe es besser. Sie könne wieder gehen. Ihre Hoffnung, den Versicherungsbetrag demnächst zu kassieren, schwand. Deshalb luden sie die hilfsbedürftige Behinderte in ihre neue Wohnung ein. Sie, die junge Frau, die in einer Dekade für ihre Mutter nie einen Finger krümmte, versprach sorgfältige, fachkundige Betreuung, erstklassiges Essen und Goldschmuck in Mengen.
Das einzige Problem war, das saubere Pärchen lebte in achthundertfünfzig Kilometern Entfernung. Die Beiden dachten nicht im Traum daran, die kranke Alte in Chiang Mai abzuholen. Die Tochter plante vielmehr – ihr vierzehnjähriger Lümmel ohne Führerschein, der Spezialist für Fahrzeuge und Treibstoffe – sollte Grossmutter in den Südosten des Landes befördern. Risiko bestand für die Einladenden keines. Sie hatten ja den Versicherungs-Vertrag.
Die Alte war mit den Plänen für die Reise nicht nur einverstanden, sondern hoch erfreut. Sie sah die Schwierigkeiten einer mindestens fünfzehnstündigen Fahrt auf schlechten Sitzen mit einem unerfahrenen Jugendlichen, ohne jegliche Ausweise nicht.
Zum Verrichten der Notdurft benötigte sie unter Umständen Hilfe. Die Toiletten an Tankstellen befanden sich meist ausserhalb ihres eingeschränkten Aktionsradius. Trotzdem setzte sie alles daran, Chiang Mai rasch möglichst zu verlassen. Feste Termine für Konsultationen und Therapie im Krankenhaus vergass sie.
Dick informierte von Satun aus die Verwandtschaft im Dorf und gab den eindringlichen Befehl: „Mutter reist nicht!“
Irgendwo in achthundertfünfzig Kilometern Entfernung wartete vielleicht vergeblich eine prächtig dekorierte Torte mit dem Schriftzug: “Herzlich willkommen liebe Mutter!“
In der Umgebung von BanWaen fanden als Zutaten öfters Arsen, Bariumcarbonat und Strychnin Verwendung.
Hallo Low, immer wieder schöne Geschichten auch zum Schmunzeln. Danke!
Danke. Die Opfer in den Geschichten schmunzeln meistens nicht. Ich hätte der Alten die Reise gegönnt, das hätte Dick entlastet und mich ebenfalls. Aber ich wollte nicht Helfer in einem offensichtlich krummen Geschäft sein. Die sind hier alltäglich und durchschaubar.