Unser Dorfobmann litt wahrscheinlich, als er zusehen musste, wie ein Grossteil der Bevölkerung in wenigen Stunden bescheidenen Hausrat durch eine mutwillig ausgelöste Überschwemmung verlor. Erstmalig halfen Soldaten beim Aufräumen. Die Gemeinde besass eine Art Versicherungskasse für Betroffene. Maximal wurden zweitausend Baht ohne grosse Abklärungen ausbezahlt. Wieviel Matratze oder qualitativ hochwertige Schränke können sie für 2‘000 Baht kaufen?
Im Schönheitssalon zerstörte die schlammige Brühe erstmals einen Kühlschrank, zwei Schränke, eine neue Matratze und ein Regal. Ein Nachbar, begeisterter Kunde von Index, verlor seinen ganzen, gut repräsentierenden billigst Krempel, für den er 50‘000 Baht hingelegt hatte.
Der ältere, übersensible Obmann, erhält täglich Anrufe übler Tagediebe, die vor weiteren Flutwellen warnen. Ohne die Anrufe zurück zu verfolgen, greift der Mann zum Mikrofon und warnt seine Gemeinde ohne weitere Überprüfungen. Die hirnlosen Weiber rennen dann planlos gackernd durch das Dorf, glauben und verbreiten den Unsinn.
Für mich ist das krimineller Psychoterror. Darunter versteht man andauernde und sich wiederholende zielgerichtete Angriffe, Provokationen, Belästigungen und Nötigungen zum Zweck der Verunsicherung oder Schädigung der seelischen und geistigen Gesundheit der Opfer. Bei den Betroffenen entwickeln sich Neurosen oder Psychosen, sofern sie nicht bereits Schizo-Vreni heissen. Diese Leiden werden ortsüblich mit Crystal Meth, Meth, Ice und Lao Khao bekämpft.
Dicks Angestellte im Salon hat Besuch. Zwei ihrer vier Grosskinder, vier und sechs Jahre alt, erlebten die Flut. Als der Pegel einen halben Meter erreichte, nahmen wir die Gäste auf. Dick trug das zerbrechlich kleine Mädchen auf dem Rücken Wie ein Äffchen klammerten sich die knapp acht Kilogramm ängstlich an Dick fest. Der ältere Knabe greinte und wollte unbedingt zurück zur Mutter.
Die Grossmutter brachte eine riesige Tüte mit, vornehmlich gefüllt mit industriell gefertigten Süssigkeiten. Das Mädchen lutschte an einer Babyflasche mit Schnuller einen gesüssten Tee.
Ich warnte die Frau vor allfälligen Zahnschäden durch die dauernde Zuckerzufuhr. Sie begriff gar nichts. Als die Kleine den Mund öffnete, fiel ich vor Schrecken beinahe aus den Rollstuhl. Alles schwarz im trauernden Thailand – Zahnfäule in Reinkultur. Einige Zähnchen fehlten.
Kinderspielzeug im herkömmlichen Sinn gab es nicht. Puppen und Autos, Papier und Farbstifte fehlten. Die Kleinen fingerten dauernd an einem dudelnden Smartphone herum.
Grossmutter kocht kaum. Die Putzerei ermüdet sie. Dann gibt es Klebreis und Qualitätsei mit delikatem Fischgeschmack von CP, dreissig Stück für neunundsiebzig Baht. Reiskochen kann sie nicht. MiMi, die Hündin, weigerte sich, ihren Reis zu fressen
Nach der letzten unglaublichen Flut-Warnung gestern, wollte sie die Kinder raschmöglichst zurück zur Mutter senden. Aber die Leute stehen selbst im Hochwasser, fahren unmöglich. Zentral-Thailand ist überflutet. Das Mädchen möchte bei uns bleiben. Es hat Angst vor ihrem neuen Papa. Aha.
https://de.wikipedia.org/wiki/Psychoterror
https://de.wikipedia.org/wiki/Angstst%C3%B6rung
Das hört sich ja furchtbar an! Kann man da nichts machen?
LG
Ulrike
Danke Ulrike.
Es ist furchtbar. Ich wäre gerne im gemässigten Satun geblieben. Seit sechs Monaten lebe ich im Irrenhaus. Die Krankheit ist ansteckend. Dick hat es voll erwischt. Ich verstehe ihre Sprache kaum mehr.
Dem kleinen Mädchen könnte für ein paar Baht geholfen werden. Ein Kinderzahnarzt ist in der Nähe. Die Übung ist leider hoffnungslos, weil sie zu ihrer schwachsinnigen Mutter zurückkehren muss. Während unserer Abwesenheit ist ihre Grossmutter nicht in der Lage, das Kind entsprechend zu ernähren oder nur ansatzweise zu erziehen. Ich gab bisher erfolglos ein kleines Vermögen für notleidende Kinder aus. Über den neuen Papa schweige ich lieber. Da kann ich nichts machen als beten: „Herr, ersäufe ihn in der Flut“!
Bevor die werten Leser davon ausgehen, das sei typisch Thailand, muss man doch klarstellen, das Low sich eine Umgebung ausgesucht hat, die man in Europa als asozial bezeichnen würde. Moabit in Berlin oder die Banlieue in Paris dürften dem entsprechen.
Wir wohnen nicht sehr weit von Low entfernt und scheinbar doch auf einem anderen Planeten. Sowohl innerhalb der (in ganz Thailand und der Welt verstreuten) Familie als auch im Dorf hilft man sich, wenn Not am Mann ist. Nicht das jetzt der Eindruck entsteht, wir würden im Paradies wohnen. Auch hier leben vor allem egoistische Vollpfosten, aber es gibt eben eine moralische Grenze, die von den Leuten nicht unterschritten wird. Das mag daran liegen, dass es sich hier um eine gewachsene Dorfgemeinschaft handelt und nicht um eines dieser künstlichen Moo Ban (Reihenhaussiedlung).
Danke Ralf für die Ergänzung. In Satun leben wir in einer gesunden Umgebung.
Als ich mich hier im Dorf niederliess, war die Gemeinschaft intakt, denn ich war auf gute, hilfsbereite Mitmenschen angewiesen. Menschen starben mehr oder weniger freiwillig. Andere zogen weg. Die Entwicklung der asozialen Gesellschaft versuche ich im nächsten Beitrag zu beschreiben.
Dicks einst hervorragende Mitarbeiterin, beziehungsweise deren Grosskinder, stammen aus der Region Phetchabun.