Bangkok – Heilkunst 1906

Einen Bericht aus Bangkok um 1900 betreffend Krankheiten und Ausbildung medizinischer Betreuung fand ich im:

Archiv für Schiffs- und Tropen-Hygiene,
unter besonderer Berücksichtigung der
Pathologie und Therapie unter Mitwirkung
DES INSTITUTS FÜR SCHIFFS- UND TROPENKRANKHEITEN IN HAMBURG

Leipzig, 1907
Verlag von Johann Ambrosius Barth
Roßplatz 17

Jeanseime, £. Organisation medicale et pathologie du Siam. Presse med. 14. 7. 06.

Seit Mitte der 90 er Jahre besteht in Bangkok eine medizinische Schule, welche der mangelhaften Bildung und Unwissenheit der eingeborenen Ärzte ein Ende machen soll. Der einzige Professor an der Anstalt, welche von jungen Männern im Alter von 15 — 18 Jahren besucht wird, ist ein amerikanischer Arzt und Zahnarzt. Dieser unterrichtet in Anatomie und Physiologie. Der Lehrstuhl für Therapie ist von einem eingeborenen Heilkünstler besetzt-

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Die Unterrichtssprache ist siamesisch, nach und nach soll englisch eingeführt werden. Nach dreijährigem kostenlosem Studium werden die Schüler einem Gouverneur oder einem Eingeborenen-Krankenhause zugewiesen und erhalten erst frühestens mit 21 Jahren das Diplom, welches zur Ausübung der Praxis berechtigt.

Mit der Schule ist ein Krankenhaus von etwa 200 Betten verbunden. Die Kranken müssen sich verpflichten, eine bestimmte Zeit in dem Hause zu bleiben und dürfen zwischen der Behandlung nach siamesischer oder europäischer Art wählen. Nur die Chirurgie wird ausschließlich nach europäischen Methoden betrieben. Die Krankenzimmer liegen in einstöckigen, nicht immer sauberen, auf Pfählen ruhenden hölzernen Pavillons.

Es gibt ferner Krankenhäuser, in welchen nicht unterrichtet wird, andere, in denen mit Lymphe aus dem Institut Pasteur in Saigon geimpft wird.

Die einzige Irrenanstalt des Landes ist wie ein Kerker eingerichtet. Die Insassen erkranken viel an Beriberi. Alkoholismus ist selten, Syphilis scheint nicht zu Erkrankungen des Zentralnervensystems zu führen, Opiummißbrauch führt häufig zur Verblödung.

Die Kindersterblichkeit ist infolge von Durchfällen, Malaria und Blattern sehr hoch. In den tieferen und bebauten Landesteilen erkranken die Erwachsenen selten und nicht schwer an Malaria, Abholzungen führen zu schweren Fieberepidemien.

Die durch schlechtes Wasser hervorgerufenen Infektionskrankheiten fordern beständig viele Opfer, erstaunlich ist es nur, daß bei den kläglichen hygienischen Verhältnissen Bangkoks die Sterblichkeit nicht noch größer ist. Alljährlich im Dezember und Januar flackert die Cholera wieder auf.

Der Aussatz ist besonders in den fruchtbaren Niederungen an der Menam- Mündung verbreitet. Bei einer Musterung der Insassen der Gefängnisse und der Christen der katholischen Mission fand man eine Morbidität an Lepra von 3 : 1000.

Lungentuberkulose kommt massenhaft vor, aber in einer trocknen Form, ohne viel Husten und Auswurf, da der Bronchialkatarrh dabei fehlt.
Die Bazillen sind massenhaft vorhanden, führen allmählich zur Kavernenbildung
ohne Mischinfektion mit andern Bakterien. Tuberkulöse Darmkatarrhe sind dagegen häufig. Die Infektion wird durch das dichtgedrängte Zusammenleben der Eingeborenen begünstigt. Lupus ist selten, Skrofulose aber nicht.
Ferner sind allgemein verbreitet Beriberi, Augenentzündungen, parasitäre Hautkrankheiten, Filariasis und ihre Komplikationen, Blasensteine, Kropf, sowie die von Steiner und Jeanseime beschriebenen harten multiplen Geschwülste der Gelenkgegenden. M.

https://archive.org/stream/archivfurschiffs1119unse/archivfurschiffs1119unse_djvu.txt

Anmerkung:
Beriberi ist eine komplexe Vitaminmangelerkrankung. Sie ist auf einen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) zurückzuführen. Noch 1905 wurde die Ursache von Beriberi nicht einer Mangelernährung, sondern als Infektionskrankheit, beziehungsweise als Lebensmittelvergiftung durch Schimmelpilze zugeschrieben.