Ansichtssachen und Betrachtungsweisen

Der Professor der Weltweisheit, die gab es damals noch, Christoph Meiners sass  im 18. Jahrhundert in seiner Studierstube in Göttingen, las Zeitungen, so genannte Intelligenzblätter, konsultierte Bücher und verfasste danach gescheite Bücher über die weite Welt. Der Herr berichtete über Hinterindien, ohne die Länder je besucht zu haben. 

Ich liege meist in meiner kleinen Zelle. Lesen kann ich nicht, weil meine Finger nicht mehr blättern können. Reisen erlaubt mir mein schlechter Zustand nicht. Daher betrachte ich die nähere Umgebung intensiv mit einem Auge.

Ich entdeckte, dass Dunkelheit nicht einfach schwarz ist. Dunkelheit ist graues Rauschen. Sie verstehen diese Aussage, wenn sie begreifen, dass in einem dunklen Raum ein Foto ohne Kunstlicht, je dunkler, desto verrauschter wird. Der Rauschgrad steigt mit zunehmender Dunkelheit.  Darf ich ihnen, anstelle von Pixeln, meine Skala vorstellen:

  1. (Absolute Dunkelheit:  Große Berg-Kristalle)  Dumm Karl heute* nicht vorhanden.
  2. Größte Dunkelheit: Meersalz Kristalle
  3. Weniger Dunkelheit:    Kochsalz, Zucker.
  4. Wenig Licht:                   Pfeffer gemahlen
  5. Mehr Licht:                     Mehl

Das Rauschen ist dynamisch. Die Punkte, hell- und dunkelgrau, wechseln dauernd Helligkeit und Position. Selten blitzt irgenwo ein heller Stern auf. Wird es heller, gibt es wellenförmigen Bewegungen im Rauschen. Sind es Blätter der Bäume, welche die Lichtstrahlen beeinflussen Aber auch ohne Wind treten diese Effekte auf. Ist es reine Einbildung oder Realität? Selten gibt es kurzzeitig schöne Strahlenmuster an der Decke. Sofern ich nicht direkt an die Decke starre, sondern weiter in den Raum blicke, bestimmten Ecken und Säulen mit ihren  Strukturen die Dimensionen, durch Licht und Schatten. Mit zunehmender Lichtintensität vergrößern sich die Pünktchen zu Punkten und zu Formen, welche  die halbe Deckenbreite einnehmen. Sie weben, beben und schweben, in leichten Pastellfarben, wie liebestrunkene Schmetterlinge. Ist das noch Rauschen? Könnten es nicht meine eigenen, an die Decke gespiegelten, Schwingungen sein? 

Wenn ich beim Betrachten des Rauschens das Zyklopen-Auge schließe, sehe ich oft Mandelbrot-Mengen,  Apfelmännchen, Fraktale.
Leider kann ich ihnen wegen meinen Behinderungen weder Formeln noch Links anbieten. Aber ich zeige ihnen zwei Bilder. Bereits 1970  begann ich im Personal Computer  Mandelbrotmengen zu berechnen. Das war damals nicht interessant, weil bloss 3 bit,  das heißt acht Farben, zur Verfügung standen. Jahre später waren es 8 Bit, = 1 Byte. Das waren 256 Farben. Ich ließ meinen PC stundenlang rechnen, bis er überhitzt abstürzte. Dann versuchte ich eines meiner Ölgemälde mit Fraktalen zu verzieren. Ich zeigte solche Bilder an einer Ausstellung in Meikirch, Bern. Die Objekte waren sauteuer, denn es ging zahlreicher Rauch auf. Das Verheizen von Computern war relativ kostspielig. Rein rechnerisch kostete mich ein Bild einige tausend Franken. Der Verkaufserlös der Kunstwerke blieb bei 0 CHF, US$, THB. Mit diesem Vermögen finanzierte ich fortan Alkohl-Exzesse und Drogen-Trips.


*Dumm Karl heute: So versteht das Smartphone das Wort Dunkelheit. 

Naturwissenschaftliche Arbeiten vor 1800

Erlauben sie einige Gedanken über meine beiden Informationslieferanten. Beide lebten in einer für uns komplett fremden Welt.
Monsieur Poivre reiste monatelang in windgetriebenen Nussschalen der Küste Afrikas entlang, um das Kap der guten Hoffnung, entdeckt 1488 vom Portugiesen Bartolomeu Diaz, nach Indien, Hinterindien und weiter bis nach China. Die Ernährung, die Trinkwasserversorgung an Bord, waren meist äusserst bescheiden. Ärztliche Versorgung gab es kaum. Stellen sie sich nur eine Amputation um 1745 am Arm vor. Wie wurde narkotisiert? Hoffentlich hatten die Herren Chirurgen und Bader, ordentlich scharfe Messer und sterile Sägen!

Unterkünfte in den tropischen Gebieten hatten keine Klimaanlagen. Der Komfort von Kühlschränken fehlte. Tropische Fieber und Magen-Darm-Probleme erwarteten fremde Eindringlinge wie heute. Motorgetriebene Verkehrsmittel gab es weder in Europa noch in Übersee. Das Telefon schlummerte geduldig seiner Erfindung entgegen.
Ich denke nicht, dass Missionar Poivre einen Dolmetscher hatte. Folglich musste er die Sprachen der Eingeborenen der bereisten Länder erlernen. Was war sein Antrieb, die damalige Welt zu bereisen? War er ein Eiferer des Glaubens, der sich mit der Bibel in der Hand von Hostien ernährte – oder doch eher ein alles verzehrender Abenteurer?

Ein anderer Typ war wohl Christoph Meiners, Professor der Weltweisheit in Göttingen. Christoph sass von Büchern, den Vermittlern des Wissens, umgeben in seiner Studierstube. An trüben Tagen benötigte er Kerzenlicht für seine Arbeit. Meiners übersetzte und zitierte eine dreissigjährige Schrift und war damit top aktuell. In unserer Zeit wäre er chancenlos. Bei heutigen Nachrichten und Publikationen geht es um Minuten und nicht um Jahrzehnte.
Würde ich eine wissenschaftliche Arbeit über Zellular-Telefonie vor dreissig Jahren veröffentlichen, würde das bedruckte Papier höchstens zum Verpacken von Wurstbrot für Familienausflüge Verwendung finden.

1978 beispielsweise wurde in der Schweiz das Natel, Nationale Autotelefon, eingeführt. 1983 wogen die modernsten Funk-Geräte in einem Koffer immer noch 12 Kilogramm. Bereits zehn Jahre später folgte die digitale Datenübermittlung. Wo stehen wir heute? Mit 150 Gramm Elektronik inklusive Stromversorgung, kommunizieren wir weltweit mit Bildern, Daten, Filmen und Sprache. In den klugen Maschinchen sind Fotoapparate und sogar GPS, globale Navigationssatellitensysteme zur Positionsbestimmung, eingebaut. Die meisten Benutzer sind durch die hochintelligenten Telefone geistig überfordert. Die Analphabeten Hinterindiens nutzen Smartphones bloss als Fotoalben und für Pornofilme – mittlerweile eine eigene Industrie. Für reine Telefonie genügen Geräte in der Grösse einer Armbanduhr.
Aber – sind unsere Geistes-Blitze so eminent wichtig, dass wir diese grossartige Technik unbedingt nutzen müssen, um unsere Freunde damit zu beglücken. Dick erhält täglich hundertzwanzig meist nutzlose Line-Nachrichten mit Bild. Mowgli wurden bereits vor Jahren innerhalb vierundzwanzig Stunden über dreihundert Mails zugestellt.
Unsere Körper sind dauernd technischen Frequenzen von fünfzig Hertz, Wechselstrom, bis in den Gigahertz-Bereich, Mikrowellen, ausgesetzt. Die Auswirkungen sind unbekannt. Wir wissen nur, Intelligenz vermittelt diese Strahlung leider nicht.

1798 durfte sich Meiners unbescheiden Professor der Weltweisheit nennen. Es war eine relativ schlichte, unerforschte Welt. Alle undenkbaren technischen Errungenschaften standen der Menschheit noch bevor: Elektrischer Strom, Glühlampen, Radio, Fernsehen, motorisierter Bahn-, Luft-, Schiff- und Strassenverkehr und vor allem weltweite Kommunikation.

Nur eines hat sich kaum verändert: für Mord- und Totschlag genügen immer noch Mentalität und Methoden der Steinzeit. Dabei vermodern wir Menschen, wie weggeworfenes Obst, mit der Zeit rein selbsttätig. Wozu also gedankenloser Aufwand an Kraft, Stahl, Pulver und Blei?

Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit

Wie war es vor dem Jahr 1796 in Hinterindien? Ein Schreibtisch-Korrespondent berichtete:

Seite 281 und folgende (1)

Von allen bisher angeführten Ländern unterschied sich nach Poivre’s Erzählung wenigstens noch vor einem Menschenalter das Ländchen Cancar, das auf den Charten Ponthiamas genannt wird, und zwischen Siam und Cambodia liegt.
Vor etwa funfzig Jahren, sagt der eben genannte reisende Philosoph, liess sich ein Chinesischer Kaufmann Kiang-tse mit einem kleinen Häuflein von Landsleuten in Ponthiamas nieder, und vermochte die benachbarten Fürsten dahin, dass sie ihn beschützten, oder wenigstens in Ruhe liessen, bis er seine Niederlassung mit Gräben umzogen, und mit Wällen gegen einen plötzlichen Angriff gesichert hatte. Er theilte jedem Fleissigen, der sich zu ihm, und den seinigen gesellen wollte, Ländereyen aus, ohne sich das Eigenthum vorzubehalten, oder Abgaben zu fordern. Zugleich gab er denen, die ihm angehörten, das Beyspiel der Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, und öffnete den Hafen von Ponthiamas allen Nationen ohne Unterschied, ohne Zoll zu verlangen, oder den Handel einzuschränken, oder Erpressungen auszuüben. Diese Weisheit und Milde machten sein kleines Gebiet bald zu einem Zufluchtsort von Unglücklichen aus allen Reichen in Hinterindien. In kurzer Zeit wurden von den aus allen Gegenden zuströmenden Menschen die dicken Wälder, mit welchen man umgeben war, niedergehauen. Die fetten Thäler wurden von Dornen und anderem Unkraut, welches sie bedeckte, gereinigt. Man zog Canäle, säete und pflanzte Reis, und andere nützliche Pflanzen, und Gewächse; und machte das Ländchen Ponthiamas zum Fruchtboden eines grossen Theils von Hinterindien, aus welchem die Malayen, die Siamer, und Cochinchinesen in Zeiten der Noth Reis und andere Nothwendigkeiten des Lebens hohlen.
– Dies Betragen des Kiang-tse, in dessen Fussstapfen sein Sohn getreten seyn soll, ist so idealisch, so sehr über die Denk- und Sinnesart aller südlichen, und östlichen Asiaten erhaben, dass ich nicht umhin kann, es noch viel mehr verschönert zu halten, als die Gemählde, welche derselbige Schriftsteller von China und Cochinchina geliefert hat. Das Wahre, was bey den Nachrichten von Ponthiamas zum Grund liegt, besteht vermuthlich darin: dass der Chinesische Kaufmann das verödete Ponthiamas mit Hülfe seiner Landsleute in kurzer Zeit nach Chinesischer Art anbaute, und eine nicht geringe Zahl von Flüchtlingen aus den benachbarten Gegenden herbeylockte, über welche er sanfter regierte, als die Tyrannen, welchen sie entronnen waren: und zwar auch deswegen sanfter regierte, weil er sonst fürchten musste, dass seine Unterthanen ihre ehemaligen Oberherren herbeirufen, und dem kleinen, wenig befestigten Reiche ein Ende machen möchten. In jedem Fall ist es ein tröstender Gedanke, dass es in Hinterindien wenigstens einen kleinen Fleck gibt, wo glückliche Menschen wohnen. Auch ist das Ländchen Ponthiamas ein erfreuliches Beyspiel: wie leicht die Wildnisse in Hinterindien in blühende Paradiese umgeschaffen werden könnten, wenn sie von fleissigen Menschen besetzt, und von gerechten, oder nur leidlichen Regenten beherrscht würden.

Anmerkung: Ponthiamas war, ist Hà Tiên in Vietnam.

Die Arbeit von Pierre Poivre wurde 1768 in Yverdon ohne Nennung des Autors veröffentlicht. Poivre ist einer der weniger bekannten Reisenden und Entdecker. Er war Missionar in China, Cochinchina und Macau, später Verwalter von Mauritius und Réunion und Mitglied des Ordens vom heiligen Geist, Ordre du Saint-Esprit.
1745 reiste er als Mitglied der Französischen Ostindienkompanie nach Indien. Poivre wurde in einer Seeschlacht gegen die Briten verwundet. Eine Kanonenkugel zertrümmerte sein Handgelenk. Ein Teil seines rechten Arms wurde amputiert. (2)
Christoph Meiners, Professor der Weltweisheit, übersetzte den Text aus dem Französischen, ohne Angst vor tropischen Krankheiten oder verirrten feindlichen Geschossen. (3)
Die Reiseberichte von Pierre Poivre
p poivre
(1) https://books.google.co.th/books?id=WWFgAAAAcAAJ
(2) http://www.pierre-poivre.fr/doc-67-8-mois-c
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Meiners