Die Unfähigkeit zu denken

FRANZISKA KRAH schrieb in Jungle World Nr. 24, 11. Juni 2015 über den Philosophen Constantin Brunner, 27. August, 1862, Hamburg – August 27, 1937, Den Haag, Holland:

Als junger Mann, der in einer Hamburger jüdisch-orthodoxen Familie groß geworden war, begann er das Studium der vergleichenden Religionswissenschaften mit dem Ziel, die beste aller Religionen auszumachen. Er sollte dabei allerdings nicht zur selben Einsicht wie Lessings Nathan kommen. Brunner brach das Studium mit der Überzeugung ab, jegliche Glaubensrichtung sei grundsätzlich abzulehnen. Die Religion ordnete er schließlich – ebenso wie den Glauben an Gespenster, die Rassentheorie und den Antisemitismus – dem Bereich des Aberglaubens zu.

Constantin Brunner war das Pseudonym von Arjeh Yehuda Wertheimer, genannt Leo. Er verzehrte Hamburger Speisen lange bevor es McDonald‘s gab.

Einig bin ich mit Brunner betreffend Religionen. Was und wie in Hinterindien praktiziert wird, entbehrt jeglicher Vernunft.
Der Mönchsorden, degradierte sich zum pöbelnden Haufen, als wütende Gelbberockte die Ordnungskräfte tätlich angriffen.
Die senilen Greise der Sangha, des obersten Mönchsrates, wählten Somdet Phra Maha Ratchamangalacharn, genannt Somdet Chuang, zum neuen Vorsitzenden. Die Regierung und einige Oppositionelle lehnten dessen Bestätigung ab.

Der Buddhismus lehrt Verzicht und Bescheidenheit. Das Eigentum der Mönche ist in den Ordensregeln festgelegt. Es sind zwei Roben, die Bettelschale und Rasierzeug. Deutsche Automobile sind im Katalog nicht aufgeführt.
Genau das wurde Phra Somdet Chuang zum Verhängnis. Er beschaffte sich einen alten Benz, von dem angeblich nur hundert Stück gefertigt wurden. Die Karosserie wurde aus den USA importiert. Einige Tage später wurde der Motor geliefert. Firmen erhielten einige Millionen Baht, um die Teile zu montieren. Eine der Firmen besass weder Lizenzen, noch verfügte sie über die Fachleute, Mechaniker, Techniker und Ingenieure, um Fahrzeuge zu fertigen.
Es gibt Mengen von Dokumenten, teilweise echt, teilweise geschummelt.
Einige Papiere trugen die Unterschrift des Abtes. Steuern und Abgaben wurden vergessen. Es ist möglich, dass sich der neunzig Jährige nicht mehr an diese Kleinigkeiten erinnern kann. Er weiss vielleicht nicht mehr, dass er einen alten Benz besitzt.

Ich staunte immer wieder über die Wagensammlungen einiger Herren Äbte. Der Dreisteste missbrauchte eine klimatisierte Andachtshalle als Garage für seine luxuriösen Vehikel. Die dunkellackierten, hochglanzpolierten Fahrzeuge bildeten einen merkwürdigen Kontrast zu den vergoldeten Buddharupa, Buddhastatuen. Als ich zur Kamera griff, schickte mich der gelbe Vorbeter, er hielt sich an einem Glimmstengel fest, zum Teufel, wahrscheinlich um seinem Verwandten freundliche Grüsse zu übermitteln.

http://jungle-world.com/artikel/2015/24/52132.html
https://en.wikipedia.org/wiki/Constantin_Brunner
https://en.wikipedia.org/wiki/McDonald%27s

Kühle Getränke in den Tropen

Ohne น้ำแข็ง, Nahm Kaeng, Ayer Batu, Es, Eis, kann man sich ein Leben in den Tropen nur schlecht vorstellen.
Im Artikel ‚Hamburg – Singapore 1857‘ (1) berichtete Fedor Jagor über seine Ankunft am Sonntag, den 27. September 1857 in Singapur:
Alles war so fremdartig, nicht eine europäische Kleidung war zu sehen, bevor wir das Gasthaus erreichten, wo wir den Abend mit Champagner, Chesterkäse und englischen Zeitungen beschlossen.“
Lange fragte ich mich, tranken die Reisenden den Champagner warm? Eine erste Kältemaschine war bereits 1851 patentiert worden. Leider war sie unbrauchbar.Bourbon11
Der Geschäftsmann Frederic Tudor begann 1806 in Neu England, USA, einen Eishandel. (2,3) Im Winter wurden Natureisblöcke aus Seen und Flüssen geschnitten und in riesigen Eishäusern gelagert. Seine Lieferungen im ersten Jahr betrugen nur 130 Tonnen. Am Höhepunkt des Handels um 1850 wurden von Tudors Firma jährlich über 140‘000 Tonnen Eis aus Massachusetts exportiert. Tudor verschiffte Eis von Boston in entfernte Häfen wie New Orleans, Charleston, Savannah, Calcutta, Singapore, Rio de Janeiro und in die ganze Karibik. Die Verluste auf dem Weg nach Kalkutta betrugen fünfzig Prozent. Von den anfänglichen Mengen konnten etwa ein Viertel verkauft werden. 1833 gelangten 90 Tonnen nach Kalkutta. Der Verkaufspreis betrug ungefähr 60 Baht für ein halbes Kilogramm Eis und ergab einen Profit von 253‘000 $.Bourbon12

Das Ende der Natureisexporte begann leise und unbemerkt 1851. Der Arzt und Erfinder John Gorrie aus Apalachicola in Florida, beantragte sein Patent für „die künstliche Herstellung von Eis.“
Seine unpraktische Kältemaschine konnte sich auf dem Markt jedoch nicht durchsetzen. Ein Franzose, Ferdinand Carré, entwickelte 1859 eine Ammoniak Kompressions-Kältemaschine. Sie produzierte pro Stunde 200 Kilogramm Eis.
Ab 1877 baute und vertrieb der Genfer Physiker Raoul Pictet Kältemaschinen. Pictet nahm als Sekretär des Schweizer Gesandten an der Eröffnung des Suez-Kanals 1869 teil. (4)
Dampfmaschinen trieben ab 1870 Apparate an, die zur Kompression der Gase von Kohlensäure, Schwefliger Säure oder Ammoniak benutzt wurden. Auf diese Weise erzeugte man Eis mit Kältemaschinen.
Hauptentwickler und Hersteller solcher Maschinen war die von Professor Carl von Linde geleitete Gesellschaft für Linde’s Eismaschinen AG. (5) Von Linde studierte ab 1861 in Zürich am 1855 gegründeten Polytechnikum, heute Eidgenössisch Technische Hochschule, ETH. Dort lehrte damals Rudolf Clausius, der Schöpfer des zweiten Hauptsatzes der Wärmelehre: ‘Wärme geht niemals von selbst von einem Körper niederer Temperatur zu einem Körper höherer Temperatur über‘.
Das merken alle, die lange vor einem kalten Getränk sitzen – man muss selbst Hand anlegen.
Das erste Eis in Bangkok produzierte um 1894 Lert Sreshthaputa, Nai Lert, alias Phraya Bhakdi Noraset. (6)
Durch die Eismaschinen entwickelten sich weltweit eigene Eis-Industrien. (7) Bis in die 1970er Jahre wurden Europas Kaschemmen noch teilweise mit Stangeneis beliefert. Gleichzeitig erfolgte endgültig die breite Einführung von Klein-Kühlgeräten. Erst sie ermöglichten ein komfortables Leben in den Tropen.

(1) http://wp.me/p2ljyL-1kL
(2) http://en.wikipedia.org/wiki/Ice_trade
(3) http://www.accountingin.com/accounting-historians-journal/volume-11-number-1/planning-and-control-in-the-19th-century-ice-trade/
(4) http://wp.me/p2ljyL-1lm
(5) http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Linde
(6) http://en.wikipedia.org/wiki/Nai_Lert
(7) http://de.wikipedia.org/wiki/Eisfabrik

Hamburg – Singapore 1857

Wie gelangten Reisende vor langer Zeit nach Südostasien? Portugiesische Seefahrer durchpflügten um 1500 den indischen Ozean mit ihren Karavellen. Sie umrundeten das Kap der Guten Hoffnung, reisten entlang den Küsten Ostafrikas in das Arabische Meer. Dort bekämpften sie die Einheimischen. Sie eroberten Hormuz, und segelten über ihre Niederlassungen in Indien nach Melaka und weiter zu den Gewürzinseln.800px-Portugiesische_Gewürzroute[1] (t) http://de.wikipedia.org/wiki/Seeweg_nach_Indien

Andreas Fedor Jagor war 40 Jahre alt, als er von Hamburg nach Singapore reiste. Jagor beschäftigte sich mit Ethnografie, Völkerbeschreibung. Das Anliegen der Ethnographie bestand darin, Leben, Sozialstruktur und kulturelle Ausprägungen einer Gesellschaft aus deren Sichtweise zu verstehen. Heute ist umstritten, ob dies möglich ist.

Jagor bereiste Im Auftrag der Berliner Museen Süd- und Südostasien. Seine exakten Beschreibungen sind lesenswert, wobei zahlreiche Fragen offen bleiben. Wie hiess das Schiff? Wie viele Seeleute und Reisende waren an Bord? Wer war der Kapitän? Wie viele Meilen reisten die Leute? Nach meinen Überlegungen waren es an die 13‘000 Meilen. Vermutlich wissen Seebären mehr.

„Im Juni 1857 verliess ich Hamburg und landete nach 105 Tagen in Singapore. Für unser Schiff, das selbst bei dem besten Winde selten mehr als sechs Seemeilen in der Stunde machte, war es eine sehr schnelle Reise…
Ausgenommen zwei kleine wüste Felsen, Martin Vas und Trinidad, die in 201/2° südlicher Breite vor der Küste von Brasilien liegen, sahen wir auf der ganzen Reise kein Land; zwar hätten wir den 12,172 Fuss hohen Pik von Teneriffa erblicken müssen, da wir nur 30 Seemeilen davon vorüberfuhren, der Nebel verhüllte ihn aber.
Als wir Ende Juli bei Tagesanbruch mit dem leisesten Luftzug an jenen Felsen vorübertrieben, waren vom Mast aus dreizehn Schiffe in Sicht, deren Wege sich hier kreuzten. Mit Hülfe der Marryat’schen Flaggensignale entstand bald eine lebhafte Unterhaltung; jeder fragt und versteht die Antwort in seiner eigenen Sprache, unbekümmert um das Idiom seines Korrespondenten, man tauscht die Namen aus, …
Maury hat so anschaulich geschildert, wie das scheinbar pfadlose Meer in Wirklichkeit von grossen Handelsstrassen durchschnitten wird, auf welchen sich alle Schiffe bewegen, wie die Karawanen in der Wüste, und hier befanden wir uns offenbar an einem Kreuzpunkt: Schiffe, die um das Kap Horn, andere, die um das Kap der guten Hoffnung gekommen waren, und solche, die von Europa kamen und nach den östlichen oder westlichen Gestaden des stillen Meeres wollten. …
Am 20. September mussten wir nach der Schiffsrechnung ganz nahe bei der Sunda-Strasse sein. 52 Tage waren vergangen, seitdem wir jene Felsen gesehen, deren astronomisch bestimmte Lage uns zum letzten male Gelegenheit gegeben hatte, den Gang unseres Chronometers zu prüfen.“ HAMSIN12 Die Navigationsmöglichkeiten wurden durch Chronometer entscheidend verbessert. Dies ermöglichte den Schritt von der Küstenschiffahrt zu den Passat Winden. Jagors Schiff legte die Strecke von Hamburg bis Martin Vas in 46 Tagen zurück. Nun waren sie in Sichtweite des Krakatau, an der Sunda Strasse.

„In diesem von Inseln eingeschlossenen Meere regte sich nur ein sanfter Luftzug, wir brauchten eine Woche bis Singapore, obgleich die Entfernung von Javahead wenig über 500 Seemeilen beträgt. …“
„Mit Sonnenuntergang liessen wir auf der Rhede von Singapore den Anker fallen. Natürlich gingen wir noch an’s Land, obgleich es schon Nacht war, es war entzückend wieder festen Boden unter den Füssen zu haben, den würzigen Duft der Bäume einzuathmen, unter Palmen zu wandeln. Einen eigenthümlichen Reiz, mit einem Anklang von Bangigkeit, hatte es auch, die Eingeborenen vorübergleiten zu sehen, die in der Dunkelheit so wild aussahen. Alles war so fremdartig, nicht eine europäische Kleidung war zu sehen, bevor wir das Gasthaus erreichten, wo wir den Abend mit Champagner, Chesterkäse und englischen Zeitungen beschlossen.
Als wir am andern Morgen an Bord erwachten, war das Schiff von einem Kranz von Booten umgeben, die Geschäfte mit uns machen wollten. Am willkommensten war uns eine grosse Mannichfaltigkeit tropischer Früchte, von denen ich nur Ananas, Cocos und Bananen kannte. …“

(1) http://www.gutenberg.org/files/44405/44405-h/44405-h.htm
(sunda strasse) http://www.xflo.net/2012/01/02/krakatoa-volcano-sunda-strait/

Die Zitate sind, wie üblich, nicht korrigiert.