Selbst schlechte Träume haben Preise

Die schlimmsten Ereignisse trafen schneller als erwartet ein. Am 18. Oktober riss mich ein Angestellter des Spitals derart brutal über die Matratze, dass er mich erneut am, durch Windeln und Verbände geschützten, Hintern verletzte. Ein ungeheurer Schmerz durchflutete mich. Meine spastischen Beine zuckten vielleicht zehn Mal in die Höhe. Am Tag danach sah die Chirurgin beim Pflasterwechsel die Bescherung. Sie nahm an, ich sei zu lange im Rollstuhl gesessen.
Wütend sagte ich, dass ich das Spital schnellstmöglich verlassen möchte. Drittklassige Pflege mit Schäden sind zu Hause preisgünstiger möglich. Noch vor einer Woche hätte ich das Dorf im Mitsubishi sitzend erreichen können. Nach dem Vorfall benötigte ich eine Ambulanz.
Der Abreise Termin war am Montag um 16 Uhr.Dazu wurde ich auf eine schlecht gepolsterte, fahrbare Bahre geschnallt. Dick schützte meine Füße zusätzlich mit Tüchern. Im Inneren des Fahrzeuges befanden sich medizinische Geräte wie Defibrilator, Blutdruck-Messgeräte und dergleichen. Der Fahrer startete das mangelhaft gefederte Fahrzeug. Ich wurde über den Schlaglöchern geschüttelt wie kein Cocktail von James Bond. Dazu raste der Gelegenheits-Pilot wie an einem klimaneutralen Grand Prix. Er verfehlte natürlich das angeschriebene Dorf Phon Phat und wendete erst am Sportplatz.
Zum Entladen des Fahrzeugs legte Dick Hand an. Sie entdeckte, dass die schützenden Tücher um die Füße fehlten. Dafür wies die grosse Zehe links einen neuen Klack auf. Die schlimmste Feststellung erfolgte beim Verbandwechsel. Der Schaden am Hintern wurde durch die unfähige Besatzung des Lieferwagens zusätzlich vergrößert. Ich hätte diese Sendung nicht angenommen, sondern als Muster ohne Wert, franko zurückgesandt.
Aber welch ein Luxus erwartete mich! Die Geräuschkulisse war
messbar um zwanzig Dezibel geringer als im Krankenhaus. Das Bett war grösser und weicher. Die flüsterleise Klimaanlage, ohne grau-schwarzen Pilzbefall, blies nicht in Orkanstärke. Behutsam wie selten, wurde ich aus dem Rollstuhl ins Bett gehoben.

Die Hebe-Mannschaft wechselte in 3 Tagen dreimal. Einmal versuchte Dick die Herren auszutricksen. Mit der Hilfe eine zarten Dame, sollte ich in den Rollstuhl gesetzt werden. Als Dick mein Gewicht praktisch alleine in den Armen trug, sank sie schreiend aufs Bett zurück. Ich vermutete, der Schmerz sei durch den Ischiasnerv ausgelöst worden und befahl, die sinnlose Übung abzubrechen.
Am Nachmittag durfte Dick zur Immigration, um die 90 Tage Erlaubnis für mich zu erlangen. Dort konnte sie nicht mehr aufstehen. Sie ließ sich zum Chiang Mai RAM Hospital fahren. Die Herren Ärzte sahen auf den Röntgenbildern, dass ein Lendenwirbel angerissen war. Ich war verzweifelt, weil Dick einem Dasein im Rollstuhl ausgeliefert sein könnte. Sie hatte einen guten Arzt. Er gab ihr Medikamente und eine Spritze, die sie wieder gehen liess.
Ein erleichterter Atheist dankte sämtlichen Göttern, Jesus Christus, Re, Buddha, Allah, Vishnu, Manitou, Zeus und wie sie alle heißen mögen.

Bangkok – Heilkunst 1906

Einen Bericht aus Bangkok um 1900 betreffend Krankheiten und Ausbildung medizinischer Betreuung fand ich im:

Archiv für Schiffs- und Tropen-Hygiene,
unter besonderer Berücksichtigung der
Pathologie und Therapie unter Mitwirkung
DES INSTITUTS FÜR SCHIFFS- UND TROPENKRANKHEITEN IN HAMBURG

Leipzig, 1907
Verlag von Johann Ambrosius Barth
Roßplatz 17

Jeanseime, £. Organisation medicale et pathologie du Siam. Presse med. 14. 7. 06.

Seit Mitte der 90 er Jahre besteht in Bangkok eine medizinische Schule, welche der mangelhaften Bildung und Unwissenheit der eingeborenen Ärzte ein Ende machen soll. Der einzige Professor an der Anstalt, welche von jungen Männern im Alter von 15 — 18 Jahren besucht wird, ist ein amerikanischer Arzt und Zahnarzt. Dieser unterrichtet in Anatomie und Physiologie. Der Lehrstuhl für Therapie ist von einem eingeborenen Heilkünstler besetzt-

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Die Unterrichtssprache ist siamesisch, nach und nach soll englisch eingeführt werden. Nach dreijährigem kostenlosem Studium werden die Schüler einem Gouverneur oder einem Eingeborenen-Krankenhause zugewiesen und erhalten erst frühestens mit 21 Jahren das Diplom, welches zur Ausübung der Praxis berechtigt.

Mit der Schule ist ein Krankenhaus von etwa 200 Betten verbunden. Die Kranken müssen sich verpflichten, eine bestimmte Zeit in dem Hause zu bleiben und dürfen zwischen der Behandlung nach siamesischer oder europäischer Art wählen. Nur die Chirurgie wird ausschließlich nach europäischen Methoden betrieben. Die Krankenzimmer liegen in einstöckigen, nicht immer sauberen, auf Pfählen ruhenden hölzernen Pavillons.

Es gibt ferner Krankenhäuser, in welchen nicht unterrichtet wird, andere, in denen mit Lymphe aus dem Institut Pasteur in Saigon geimpft wird.

Die einzige Irrenanstalt des Landes ist wie ein Kerker eingerichtet. Die Insassen erkranken viel an Beriberi. Alkoholismus ist selten, Syphilis scheint nicht zu Erkrankungen des Zentralnervensystems zu führen, Opiummißbrauch führt häufig zur Verblödung.

Die Kindersterblichkeit ist infolge von Durchfällen, Malaria und Blattern sehr hoch. In den tieferen und bebauten Landesteilen erkranken die Erwachsenen selten und nicht schwer an Malaria, Abholzungen führen zu schweren Fieberepidemien.

Die durch schlechtes Wasser hervorgerufenen Infektionskrankheiten fordern beständig viele Opfer, erstaunlich ist es nur, daß bei den kläglichen hygienischen Verhältnissen Bangkoks die Sterblichkeit nicht noch größer ist. Alljährlich im Dezember und Januar flackert die Cholera wieder auf.

Der Aussatz ist besonders in den fruchtbaren Niederungen an der Menam- Mündung verbreitet. Bei einer Musterung der Insassen der Gefängnisse und der Christen der katholischen Mission fand man eine Morbidität an Lepra von 3 : 1000.

Lungentuberkulose kommt massenhaft vor, aber in einer trocknen Form, ohne viel Husten und Auswurf, da der Bronchialkatarrh dabei fehlt.
Die Bazillen sind massenhaft vorhanden, führen allmählich zur Kavernenbildung
ohne Mischinfektion mit andern Bakterien. Tuberkulöse Darmkatarrhe sind dagegen häufig. Die Infektion wird durch das dichtgedrängte Zusammenleben der Eingeborenen begünstigt. Lupus ist selten, Skrofulose aber nicht.
Ferner sind allgemein verbreitet Beriberi, Augenentzündungen, parasitäre Hautkrankheiten, Filariasis und ihre Komplikationen, Blasensteine, Kropf, sowie die von Steiner und Jeanseime beschriebenen harten multiplen Geschwülste der Gelenkgegenden. M.

https://archive.org/stream/archivfurschiffs1119unse/archivfurschiffs1119unse_djvu.txt

Anmerkung:
Beriberi ist eine komplexe Vitaminmangelerkrankung. Sie ist auf einen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) zurückzuführen. Noch 1905 wurde die Ursache von Beriberi nicht einer Mangelernährung, sondern als Infektionskrankheit, beziehungsweise als Lebensmittelvergiftung durch Schimmelpilze zugeschrieben.

Allgemeine Verunsicherungen 2

Leben im Tropenparadies. Ich bin der einzige, der Missstände nicht nur erlebt, sondern beschreibt. Alle anderen geniessen die ewige Glückseligkeit sechsundzwanzig Stunden am Tag und nichts anderes. Warum sechsundzwanzig Stunden? Es gibt Zeiten, da empfindet man alles doppelt.
Eine unschöne Häufung fiel mir bei Sach- und Krankenversicherungen auf. Es geht nicht um mich. Ich habe keine Krankenversicherung in Thailand. Sachversicherungen wurden bis auf die Fahrzeuge aufgegeben.
Aber Versicherungsprämien für Einheimische bezahlen und am Ende zusätzlich Rechnungen begleichen, ärgert.

Besser unversichert sterben, als gar nicht 

Versicherungsagenten in Hinterindien sind bei näherer Betrachtung nichts anderes als Psychoterroristen. Ein knapp kapitalkräftiger Mensch wird zu Zahlungen gepresst, indem man sämtliche lauernde Gefahren, möglichst mit leidendem Gesichsausdruck, gelegentlichem Stöhnen, dazu unterstützenden Tränen in Auge und Arsch, dredimensional ausmalt. Diebe, Einbrecher, Feuer, Überschwemmungen, Unfälle, Verbrechen, unzählige Krankheiten, zuletzt lauert der Tod. Nach der dramatischen Aufzählung fast aller Risiken benötigt der Bearbeitete einen Psychiater, Beruhigungspillen oder Schnaps. In beiden Fällen leidet die Leber. Psychische Leiden sind von der Leistungspflicht ohnehin ausgeschlossen.
Diese Firmen benötigen keine Rohstoffe. Sie werden, wie das Kapital, vom Kunden selbst geliefert. Noch schöner wird es, wenn die Politik mitmischelt. So benötigt man für  Visumanträge für europäische Länder Unfall- und Krankenversicherungen. Die Probleme bei asiatischen Versicherern waren fehlender Beistand und noch schlechtere Zahlungsmoral.

Für einen der ersten Visumanträge benötigten wir eine Reiseversicherung. Wir bezahlten und erhielten eine grossartig ausgefertigte Police, ein grafisches Meisterwerk. Es sah aus, wie eine alte, amerikanische Eisenbahnaktie. Als wir einige Tage später wegen einer belanglosen Frage das Büro erneut aufsuchten, das Telefon wurde nicht beantwortet, war der Laden dicht und geschlossen. Keiner wusste, wohin sich die feine Gesellschaft verkrochen hatte. Aber die Botschaft akzeptierte den Wisch.
Seit den Schengen-Visa ist es Vorschrift, dass der Versicherer in einem Schengen-Land eine Niederlassung hat. Das Risiko, im Schadenfall leer auszugehen, wird kleiner.

Viele meiner Bekannten in Thailand verloren ihre gesamten Ersparnisse. Andere leiten im Hitzestau erfolgreich immer wieder erste Schritte dazu ein. Gegen Dummheit kann man sich nicht versichern.
Ein besonders tragischer Fall war die Krebserkrankung einer Thai Ehefrau in meiner weiteren Umgebung. In diesem Fall existierte keine finanzielle Vorsorge. Stark preistreibend wirkte der Umstand, dass die Kranke zeitweise bei ihrer Familie in Bangkok, dann wieder an ihrem Wohnsitz in Chiang Mai, gepflegt werden wollte. Für die junge Frau gab es keine Hilfe und sie starb, als dem Farang die Mittel ausgingen. Haus und Auto waren verloren wie das junge Leben.

Das war beste Werbung für die Versicherungsbranche. Man konnte mir einen umfassenden Schutz für die neue Lebensabschnittspartnerin andrehen. Die starken Argumente überzeugten sofort. Zufälligerweise gab es ein günstiges Schnäppchen, eine Kombination von Unfall, Krankheit, und Lebensversicherung. Sogar bescheidene Leistungen für allfällige Krebserkrankungen waren inbegriffen. Damit subventionierte ich AIA erneut.

Wie kundenfreundlich die Gesellschaft war, bemerkte ich rasch. In grösseren Krankenhäusern waren ihre Agenten stationiert. Zur Kostenoptimierung befragten sie teilweise die Patienten bereits vor einem allfälligen Arztbesuch. Als Dick während drei Jahren keine Leistungen beanspruchte, erhielt sie ein Upgrade.
Danach war sie wegen Kleinigkeiten zweimal im Spital. Trotz sauberen Abrechnungen fanden die spitzfindigen Gauner immer wieder Paragraphen, um sich vor Zahlungen zu drücken. Für einzelne Positionen waren bescheidene Höchstsätze deklariert.

In über vierzig Jahren traf ich nie auf annähernd kleinliche Vertragsauslegungen. Mein Sohn wurde als Schweizer in Singapur geboren. Die Krankenversicherung in der Heimat bezahlte klaglos. Hier ist ein Gewinn im Glücksspiel wahrscheinlicher, als die restlose Vergütung eines vertraglich versicherten Schadens. Für solche Fälle empfiehlt  sich eine Rechtsschutzversicherung für die Anwaltskosten. Pech hat man dann, wenn der gleiche Jurist gleichzeitig für das eingeklagte Unternehmen tätig ist.

Wenn immer ich das AIA Gebäude sah, kriegte ich Bauchschmerzen. Sie führten zu spontanem Stuhlgang. Des Putzens müde, verfasste ich mit wundem Po, Probleme gegen den Wind riechend, zwei Kündigungen und versandte sie eingeschrieben. Ein Brief ging an das Mutterhaus in Bangkok, der andere an die Tochtergesellschaft in Chiang Mai.
Chiang Mai retournierte die Kündigung wegen eines angeblichen Formfehlers. Bangkok dagegen bestätigte das Schreiben. In Chiang Mai ermüdete man nicht, weiterhin Rechnungen und Zahlungsaufforderungen zu senden. Es dauerte viele Schriftstücke, Unterschriften und etwa ein Jahr, bis endlich die Anteile der Lebensversicherung ausbezahlt wurden.

Gegenwärtig geniesst Dick Schutz von drei Versicherungen. Wie wenig sich dadurch änderte, erfahren sie in

Fortsetzung folgt