Es gibt realistisch-pessimistische Aussagen, welche über den Welt-Religionen stehen. Józef Teodor Nałęcz Konrad Korzeniowski * schrieb 1899 seinem Freund Robert Cunninghame Graham:
„Der Mensch ist ein bösartiges Tier. Seine Bösartigkeit muss organisiert werden. Das Verbrechen ist eine notwendige Bedingung der organisierten Existenz. Die Gesellschaft ist ihrem Wesen nach kriminell, sonst würde sie nicht existieren. Der Egoismus rettet alles – absolut alles –, was wir hassen, was wir lieben.“
Solche und ähnliche bittere Erfahrungen waren im Dorf in den Reisfeldern plötzlich alltäglich. Vorher lebte ich glücklicherweise in einem Wahn streng begrenzten wissenschaftlichen Fortschritts, der meine Gedankenwelt – ähnlich wie Religionen und Opium, vernebelte und schützte.
Aber ich blieb meinen tief verwurzelten Ideologien treu und arbeitete in globaler gratis Wissensvermittlung: Algebra, Technologien und Fremdsprachen. Begrenzte Lernfreude und Fähigkeiten der Schüler bremsten meinen Enthusiasmus. Bald bemerkte ich, alles was kostenlos ist, ist in Lan Na Land nichts wert, seien es Geschenke wie Bücher, Kameras, Radios, Telefone, Uhren oder Unterricht. Je teurer, desto besser. Ich gab die hoffnungslose Zeitverschwendung auf und widmete mich weit sinnvolleren Tätigkeiten wie Steintischphilosophien, Foren! oder Blogs!! LOL
Gelegentlich liess ich mich überreden, wieder zu unterrichten: „Sie ist eine gute und fleissige Schülerin, aber müsste dringend Konversation üben. Sie würde auch regelmässig und pünktlich erscheinen.“ Mein Hirn registrierte: regelmässig unpünktlich – und hatte recht. Weil ich durch extraordinäre Erfahrungen vorsichtiger wurde, unterrichtete ich lernwillige Frauen nur mit Begleitung.
Wir lasen Zeitungen. Ich erklärte die gelesenen Sätze; den Sinn aneinander gehängter Worte. Obwohl sie fliessend lesen konnten, verstanden die Jungen meist nichts. Darauf durften die Schüler eigene, kurze Erlebnisse schildern. Das überforderte sie bereits. Ich machte es noch einfacher.
„Schreibe wie du eine Suppe kochst“, bat ich die fast fünfzehn Jahre junge Dame.
„Ich kann nicht kochen“, antwortete sie.
„Dann schreibe wie deine Mutter Suppe kochte!“ Mutter benutzte Ka-nor Würfel und Wasser.
Ein Problem der Schülerin ist, sie lebt bei ihrem Vater. Sie flüchtete wenige Jahre zuvor, als ein neuer Freund der Mutter sie als zweites Objekt seiner Begierden missbrauchen wollte.
Die gegenwärtige Partnerin des Vaters ist etwa zehn Jahre älter. Sie stammt aus einer reichen chinesischen Familie. Dort wirkten Scharen von Dienstboten fürs Kochen, Waschen, Bügeln, allgemeine Hausarbeiten und als Gärtner im Park.
Die junge Frau studiert standesgemäss an der Universität. Sie war zur Ausbildung in Amerika und spricht fliessend Englisch. Für Anliegen des Mädchens hat sie keine Zeit. Kochen kann sie nicht. Um nicht zu verhungern, benutzt sie ihr iPhone. Nummern von KFC, MacD‘s und Pizza Kurier sind gespeichert. Fürs Waschen und Bügeln telefoniert sie ebenfalls. Die Schülerin, wenig Taschengeld, Baht sind Mangelware, besorgt ihre Wäsche selbst. Sie lebt am Tropf, während die Herrin des Hauses Überfluss geniesst. (Siehe Gebrüder Grimm, Aschenputtel)
Anstatt ihrem Herrn Sohn die Rübe zu stutzen, fing Dick an, Aschenputtel mit Kopfkissen, Matratze und so weiter zu unterstützen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Weil selbständiges Denken und Schreiben die Jugendlichen überforderte, lasen wir und betrieben eifrig Konversation. Beim Lesen fiel mir auf, meine Schülerin benutzte Thai-Englisch. In Thai wird L als N ausgesprochen. ‚Beautiful school girl‘ mutiert zu ‚buitifun scun gön‘. In einem einzigen dreisten Satz waren drei Endungen mit L. Ich liess die Leserin anhalten, las die Worte langsam und bat sie, den Satz zu wiederholen.
Nach der dritten Unterbrechung, öffnete der Herr des Universums und der Schönen die Schleusen zwecks Sintflut. Ich gab mich geschlagen und beendete den Unterricht.
Am Abend, beim gemütlichen biologischen Kokosdrink aus der eigenen Plantage – mit Rum, erzählte ich Dick von abgebrochenen Koch- und Schulstunden und meinte:
„Sie kommt nicht wieder!“
Spät nachts, nach diversen Hausbesuchen, sagte mir Dick: „Sie möchte lernen und kommt morgen pünktlich.“
Um zwei Uhr wartete ich vergeblich auf Schüler. Gegen halb drei kam eine junge Frau. Die Haare waren wunderbar gepflegt, Aufwand mindestens zwei Stunden. Das Gesicht war mit ausgiebig Schminke künstlerisch zugekleistert. Wollte sie mich in die Peking Oper einladen?
Erst an der Stimme erkannte ich meine Besucherin – draussen vor der Tür. Sie stammelte: „Heute habe ich viel zu tun, Hausarbeiten, Wäsche waschen, danach bügeln. Leider kann ich nicht zum Unterricht kommen und danach erst nächstes Wochenende wieder. Aber ich würde gerne Hausaufgaben machen.“
„Dinge wie Konversation und Vorlesen sind als Hausarbeiten schlecht möglich“, erwiderte ein herzloser, alter Farang. „Der Unterricht ist für mich damit zu Ende. Dschogg dee khrap!“
* Joseph Conrad